Agil & Stabil - ein Mythos?

16 Juni 2019
Erstellt von Ing. Alexandra Schermann, BA
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© Martina Draper

Um diese Fragestellung zu klären, war es notwendig nicht nur den Begriff der Agilität zu klären, sondern auch zu definieren was denn Stabilität bedeutet. Daher startete ich mit der Frage an das Publikum: „Was bedeutete für Sie Stabilität – bzw. mit welchen Begriffen wird Stabilität verbunden“. Die Bandbreite der Wortmeldungen ging von Sicherheit, Beständigkeit, Planbarkeit bis hin zu unflexibel, starr und Stillstand.

Was bedeutet Stabilität?

Tatsächlich gibt es viele unterschiedliche Definitionen für Stabilität

  • Ein System, das nach einer Anregung in seinen ursprünglichen Zustand von selbst zurückkehrt, heißt stabil.
  • Fähigkeit auf gleiche oder ähnliche Impulse standardisiert zu reagieren
  • Synonyme sind z.B. Haltbarkeit, Robustheit, Unerschütterlichkeit, Widerstandsfähigkeit

Agilität und Stabilität scheinen nun auf den ersten Blick ein wenig in Widerspruch zu stehen. Doch um herauszufinden ob das wirklich so ist, müssten wir einen genauen Blick auf den Kontext werfen. Wenn ich Stabilität im Sinne von Standfestigkeit verstehe – was bei einem Vortrag tatsächlich Sicherheit und Stabilität gibt – wird bald offensichtlich, dass ich dadurch meine Bewegungsfreiheit einschränke. Solange ich stabil auf beiden Beinen auf dem Podium stehe, ist es mir unmöglich meine Position zu verändern. Dazu muss ich für einen kurzen Moment die Stabilität aufgeben, um von A nach B zu gelangen.

Ganz anders würde mein Streben nach Stabilität aussehen, wenn ich nicht auf einem ruhigen Podium, sondern auf einem Schiffsdeck bei hohem Seegang stehen würde. Ich müsste also schon wesentlich flexibler auf die Bewegungen des Schiffs reagieren und weitaus mehr arbeiten, um nicht umzufallen und aus der Bahn geworfen zu werden.

Dieser Effekt wird übrigens auch „Red Queen“ Effekt genannt. Die Hypothese, angelehnt an eine Szene aus Alice in Wunderland, wurde 1973 von Leigh Van Valen vorgeschlagen. Alice und die rote Königin rannten so schnell sie konnten, doch sie schienen nie irgendetwas überholen zu können. Als Alice die rote Königin darauf ansprach, antwortete diese: „Hierzulande muss man sehr schnell laufen, damit man am Fleck bleiben kann“.

Leigh Van Valen war Biologe und erklärte mit dem Red Queen Effekt das evolutionäre „Hochrüsten“. So muss sich eine Gruppe ständig verändern, um ihre errungene Position zu behaupten.

Kontextdefinition – Cynefin Modell

Um herauszufinden in welchem Kontext wir uns befinden hilft uns das Cynefin Modell weiter.
Das Modell wurde von Dave Snowden, einem walisischen Unternehmensberater und Forscher im Bereich Wissensmanagement, entwickelt.

cynefin framework

  • Zum chaotischen Kontext zählen Krisen und Katastrophen. Hier wird zunächst rasch gehandelt, um aus dem Gefahrenbereich zu kommen.
  • In einem einfachen Kontext ist die Beziehung zwischen Ursache und Wirkung für alle ersichtlich.
    Wir erkennen das Problem – beurteilen es und reagieren. Es ist das Feld in dem Best Practice Ansätze gut funktionieren.
  • Im komplizierten Kontext ist die Beziehung zwischen Ursache und Wirkung nur mehr für Experten ersichtlich. Die Aufgabe wird erkannt – muss jedoch zunächst von Experten analysiert werden bevor darauf reagiert werden kann. In diesem Kontext werden Good Practice Ansätze eingesetzt.
  • Im komplexen Kontext kann weder der Aufbau noch das Verhalten vollständig beschrieben werden. Wir können hier keinen gesamten Plan erstellen – vielmehr müssen wir in kleinen Schritten ausprobieren – lernen – und aufgrund der gesammelten Erfahrung, die nächsten Entscheidung treffen. Die Trennung zwischen Entscheidung und Ausführung der Entscheidung funktioniert daher in diesem Kontext nicht mehr. Wir benötigen ein selbstorganisiertes Team aus unterschiedlichen Bereichen (cross-funktional) das zielorientiert und experimentell in kleinen Schritten an der Problemlösung arbeitet.

Was bedeutet Agilität

Agilität brauche ich nur, wenn ich in einem komplexen und unsicheren Kontext arbeite. In allen anderen drei Bereichen (einfach, kompliziert und chaotisch) bietet mir Agilität keinen Vorteil.

Im Komplexen Umfeld erhöhe ich mit Agilität die Stabilität durch das iterative Vorgehen mit den Feedbackschleifen im Zuge eines experimentellen Arbeitens.

  • Agilität ist Lernen durch Experimente und schrittweises Vorgehen
    Die Feedbackschleifen ermöglichen uns Fehlentwicklungen rasch zu korrigieren, die Dinge richtig zu machen und damit unsere Effizienz zu steigern.
  • Durch die Einbeziehung des Kunden erhöhen wir die Wahrscheinlichkeit die richtigen Dinge zu machen und steigern somit unsere Effektivität
  • Agilität schafft und benötigt Transparenz
  • Wir führen die Entscheidung und die Ausführung der Entscheidung in einem cross-funktionalen und selbstorganisierten Team zusammen
  • Agilität ist eine Haltung
    Lernen durch Experimente funktioniert nur in einem Umfeld in dem Fehler gemacht werden können. Nur so kann ich daraus lernen und den nächsten Schritt planen. Die folgenden Werte unterstützen uns dabei Agilität zu leben
    • Respekt (Respect)
      Die Teammitglieder respektieren sich und ihre Fähigkeiten.
    • Fokus (Focus)
      In einem Projekt müssen wir Wege finden, um mit der Komplexität und Unvorhersehbarkeit umzugehen. Der Wert Fokus hilft uns, sinnvolle Lösungen zu finden.
    • Selbstverpflichtung (Commitment)
      Es geht bei Commitment darum sein Bestes zu geben. Wir können in einem komplexen Projektumfeld nicht alles voraussehen und planen. Wir können uns aber zu einem bestimmten Verhalten verpflichten.
    • Mut (Courage)
      Teammitglieder brauchen Mut, um das Richtige zu tun und um schwierige Probleme zu lösen.
    • Offenheit (Openness)
      Das Team und deren Stakeholder verständigen sich darüber offen über die anstehenden Aufgaben, den Fortschritt und anstehende Probleme zu sprechen.

Agilität in der Praxis

Alexandra Schermann mit Schätz-Aufgabe
© Martina Draper

So einfach die Konzepte hinter Agilität sind – so schwierig gestaltet sich die Anwendung. Der Einsatz von Agilität im Unternehmen hat Auswirkungen auf

  • Die Personalentwicklung und die Personalauswahl
  • Die Entwicklung der Unternehmenskultur
  • das Führungsverständnis
  • die Entscheidung darüber wo es sinnvoll ist – und wo nicht

Agilität ist viel – aber kein Wunderheilmittel – die Probleme lösen sich nicht in Luft auf, wenn wir täglich 15‘ vor einem Board stehen, aber es macht Probleme sichtbar – damit wir sie lösen können und stellt Methoden zur Verfügung mit denen wir in einer unsicheren und komplexen Umwelt wieder ein Stück Stabilität gewinnen können.

 

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